Seit Anfang 2018 gelten für den Vertrieb von sogenannten Versicherungsanlageprodukten im Vergleich zu herkömmlichen Versicherungsprodukten besondere Anforderungen. Dazu zählen die Bereitstellung von speziellen Informationen, besondere Pflichten bei der Beratung und Beschränkungen hinsichtlich der Vergütung. Hinzu kommt seit dem 2. August 2022 die Verpflichtung der Vermittler, die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden zu erfragen und zu berücksichtigen. Der rechtliche Hintergrund ist aufgrund der Verschränkung von deutschen und europäischen Normen komplex und für Vermittler nicht einfach zu verstehen. Zusätzlich überfluten Sekundärinformationen mit meist gutgemeinten, fachlich aber nicht immer hinreichenden Hinweisen und Erklärungen den Markt, die das Verständnis weiter erschweren. Hier eine systematische Zusammenfassung der Zusammenhänge.
Ausgangspunkt Versicherungsvertriebs-Richtlinie (Insurance Distribution Direktive – IDD)
Die am 23.02.2016 in Kraft getretene IDD legt in ihrem Kapitel VI besondere Anforderungen für Versicherungsanlageprodukte fest. Als „Versicherungsanlageprodukte“ gelten – mit einigen in der Richtlinie näher beschrieben Ausnahmen – Versicherungsprodukte, die einen Fälligkeitswert oder einen Rückkaufwert bieten, der vollständig oder teilweise direkt oder indirekt Marktschwankungen ausgesetzt sind.
Bei den im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten angebotenen Dienstleistungen unterscheidet die Richtlinie grundsätzlich zwischen Beratung zu Versicherungsanlageprodukten und sonstigen Tätigkeiten, die ohne Beratung stattfinden.
Bei einer Beratung über Versicherungsanlageprodukte sind Vermittler verpflichtet, sich vom Kunden
- Informationen über dessen Kenntnisse und Erfahrung im Anlagebereich in Bezug auf den Versicherungsvertrag,
- seine finanziellen Verhältnisse einschließlich der Fähigkeit Verluste zu tragen und
- seine Anlageziele einschließlich seiner Risikotoleranz
zu verschaffen, die es dem Vermittler ermöglichen, dem Kunden Versicherungsanlageprodukte zu empfehlen, die für ihn geeignet sind und insbesondere seiner Risikotoleranz und seiner Fähigkeit, Verluste zu tragen entsprechen.
Bei einer Vertriebstätigkeit ohne Beratung ist der Vermittler verpflichtet, sich vom Kunden
- Informationen über dessen Kenntnisse und Erfahrung im Anlagebereich in Bezug auf den Versicherungsvertrag
zu verschaffen, um beurteilen zu können, ob das Versicherungsprodukt für den Kunden angemessen ist.
Deutsche Umsetzung im Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
Europäische Richtlinien wie die IDD gelten nicht unmittelbar in den Ländern der EU, sondern müssen dort durch nationale Gesetzgebung umgesetzt werden. Dies ist in Deutschland durch das Gesetz zur Umsetzung der IDD geschehen, das am 23.02.2018 in Kraft getreten ist.
Seitdem müssen Vermittler bei einer Beratung zu einem Versicherungsanlageprodukt gem. § 7c Abs. 1 VVG in Verbindung mit § 59 Abs. 1 Satz 2 VVG (Überleitungsvorschrift) die in der IDD vorgegebenen Informationen (Kenntnisse und Erfahrungen, finanzielle Verhältnisse einschließlich Verlusttragfähigkeit, Anlageziele einschließlich Risikotoleranz) erfragen.
Vermittler dürfen nur Versicherungsanlageprodukte empfehlen, die für den Kunden geeignet sind und insbesondere dessen Risikotoleranz und Verlusttragfähigkeit entsprechen.
Gem. § 7c Abs. 2 VVG in Verbindung mit § 59 Abs. 1 hat der Vermittler stets zu prüfen, ob das Versicherungsprodukt für den Versicherungsnehmer angemessen ist. Zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit muss der Vermittler wie in der IDD vorgegeben lediglich Informationen über Kenntnisse und Erfahrung des Kunden erfragen.
§ 7c Abs. 1 VVG übernimmt die Vorgaben IDD fast wörtlich. § 7c Abs. 2 VVG weicht dagegen geringfügig von der IDD ab und ist dem Gesetzgeber sprachlich verrutscht. Die Formulierung „hat stets zu prüfen“ verleitet zu der Annahme, dass auch im Falle einer Beratung eine Angemessenheitsprüfung durchzuführen sei. In Branchenveröffentlichungen ist immer wieder zu lesen, dass Vermittler verpflichtet seien, z. B. bei Fondspolicen eine Angemessenheits- und (!) Geeignetheitsprüfung durchzuführen. Ein Blick auf die konkret einzuholenden Informationen offenbart aber, dass die Angemessenheitsprüfung ein integraler Bestandteil der Geeignetheitsprüfung ist. Es ist also entweder eine Geeignetheitsprüfung oder (!) eine Angemessenheitsprüfung durchzuführen.
Da es dem Vermittler im deutschen Recht – im Unterschied zur IDD – nicht freisteht, ob er eine Beratung anbietet oder nicht, sondern gem. § 61 Abs. 1 Satz 1 VVG grundsätzlich zur Beratung verpflichtet ist, ist bei der Vermittlung eines Versicherungsanlageprodukts im Regelfall immer eine Geeignetheitsprüfung erforderlich. Lediglich in den Fällen eines Beratungsverzichts des Kunden kommt es zu einer Angemessenheitsprüfung, die deutlich geringere Anforderungen an den Vermittler stellt.
Konkretisierungen in Delegierter Verordnung
Leider erläutern weder IDD noch VVG die Begriffe Geeignetheit und Angemessenheit. Konkreter wird die Delegierte Verordnung EU 2017/2359 zur Ergänzung der IDD, die ebenfalls seit dem 23.02.2018 gilt. Danach sind Versicherungsanlageprodukte für den Kunden geeignet, wenn sie
- den Anlagezielen des Kunden, auch hinsichtlich seiner Risikobereitschaft,
- den finanziellen Verhältnissen des Kunden, auch hinsichtlich seiner Fähigkeit, Verluste zu tragen,
- den Kenntnissen und Erfahrungen des Kunden
entsprechen.
Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist lediglich erforderlich, dass der Kunde
- die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, um die Risiken im Zusammenhang mit dem Versicherungsanlageprodukt zu verstehen.
Darüber hinaus werden die einzuholenden Informationen über die Anlageziele und die finanziellen Verhältnisse weiter konkretisiert. Delegierte Verordnungen gelten unmittelbar und haben Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht.
Verpflichtung zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen
Mit der Delegierten Verordnung EU 2021/1257 wird die soeben besprochene Verordnung EU 2017/2359 um Bestimmungen zu Nachhaltigkeitspräferenzen erweitert. Danach sind Versicherungsanlageprodukte für den Kunden geeignet, wenn sie
- den Anlagezielen des Kunden, auch hinsichtlich seiner Risikobereitschaft und etwaigen Nachhaltigkeitspräferenzen,
- den finanziellen Verhältnissen des Kunden, auch hinsichtlich seiner Fähigkeit, Verluste zu tragen,
- den Kenntnissen und Erfahrungen des Kunden
entsprechen.
Unter Nachhaltigkeitspräferenzen versteht die Verordnung die Entscheidung eines Kunden, ob und, wenn ja, inwieweit eines der folgenden Finanzprodukte in die Anlage einbezogen werden soll:
- Versicherungsanlageprodukte mit ökologisch nachhaltigen Investitionen im Sinne von Art. 2 Nr. 1 Taxonomie-VO.
- Versicherungsanlageprodukte mit nachhaltigen Investitionen im Sinne von Art. 2 Nr. 17 Offenlegungs-VO.
- Versicherungsanlageprodukte, die die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktorenberücksichtigt werden.
Integration in Geeignetheitsprüfung
Mit der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen wird deshalb die Geeignetheitsprüfung erweitert. Es ist deshalb notwendig, dass Vermittler sich nicht in Formularen zu Nachhaltigkeitspräferenzen verlieren, sondern zunächst prüfen, ob die bisherige Beratungspraxis den Anforderungen einer Geeignetheitsprüfung überhaupt genügen, um dann in einem zweiten Step die Abfrage nach Nachhaltigkeitspräferenzen zu integrieren. Die Vorschriften zur Geeignetheitsprüfung sind originäre Vermittlerpflichten. Vermittler dürfen deshalb nicht blind auf Software oder Formulare vertrauen.